Peter

 2026 PETER

PETER


Da sie sich die Miete nicht mehr leisten können, verlieren die 17-jährige Eva Wild und ihr Großvater ihre Wohnung. Eva versucht sich als Straßenmusikantin, gerät dabei aber an einen flüchtigen Dieb, der sie zum Kleidertausch zwingt. Notgedrungen begibt sich Eva in die Rolle eines Jungen und nennt sich Peter. Nach einem Streit mit dem Arzt Robert Bandler landet »Peter« sogar vor Gericht. Aus Mitleid verschafft ihm/ihr Robert, zu dem sich Eva/Peter hingezogen fühlt, eine Anstellung. Doch Evas Maskerade sorgt für weitere Verwicklungen.

Die Verwechslungs- und Crossdressing-Komödie entstand unter Mitwirkung zahlreicher jüdischer Emigrant*innen als Teil des sogenannten »unabhängigen« Kinos in Budapest und Wien. In Deutschland kam der Film unter dem Titel »Peter, das Mädchen von der Tankstelle« erst 1952 in einigen Kinos der DDR zur Aufführung. Während der Regisseur Hermann Kosterlitz (=Henry Koster) und die Hauptdarstellerin Franziska Gaal später in Hollywood weiter wirken konnten, überlebten andere Beteiligte, wie die Schauspieler Otto Wallburg und Fritz Grünbaum oder der Tontechniker Gerhard Goldbaum, die NS-Verfolgung nicht.

R: Hermann Kosterlitz, D: Franziska Gaal, Hans Járay, Etha von Storm, A/Ungarn 1934, 100‘


 

EINFÜHRUNG ZUM FILM

PETER

Guido Altendorf
Filmmuseum Potsdam
(Redemanuskript)

 

„Peter“ ist eine Produktion der amerikanischen Firma Universal, war allerdings niemals für den amerikanischen Markt gedacht. Bis 1934 produziert und verleiht die Firma in Deutschland, vor allem die Filme von Luis Trenker. Sein der Film „Der Rebell“ wurde von Goebbels hochgelobt, ebenso erfolgreich war „SOS Eisberg“ mit Leni Riefenstahl. Der legendäre Carl Laemmle ist der Boß der Universal in den USA, in Europa führt sein Neffe und rechte Hand Max Friedland die Geschäfte. Am 1. April 1933, dem Tag des so genannten Judenboykotts, wird Friedland auf dem Weg in sein Büro in der Berliner Mauerstrasse verhaftet. Nach seiner Freilassung durch Intervention des amerikanischen Konsuls verlässt er mit seiner Familie Deutschland und leitet nun aus Paris die europäischen Geschäfte der Universal.

Die Hauptdarstellerin des Films „Peter“, Franziska Gaal ist Jüdin. 1932 wird ihr Film „Paprika“ in Deutschland ein großer Erfolg. Sie wird über Nacht zum Star, in schneller Folge entstehen zwei weitere Filme, die ihre Popularität nur noch verstärken. Diese gelangen noch, auch nach Hitlers Machtübernahme, problemlos in die deutschen Kinos. Zwei weitere Nachfolgeprojekte der Universal mit ihrem neuen Star Franziska Gaal werden vorsichtshalber in Wien gedreht: „Csibi, der Fratz“ und „Frühjahrsparade“. Sie passen sich so gut wie möglich den rassistischen Vorgaben der Nazis an, d. h. sie entstehen ohne Beteiligung jüdischer Künstler - außer eben Franziska Gaal. Auch sie werden noch in Deutschland gestartet, aber „Frühjahrsparade“ ist dann auch der letzte Gaal-Film auf deutschen Leinwänden. Zum Zeitpunkt seiner Premiere hat die Universal in Deutschland bereits alle Aktivitäten eingestellt.

Wie viele andere standen nun auch die jüdischen Filmschaffenden mit dem Rücken zur Wand, Arbeit in Deutschland gab es für sie nicht mehr. Alle deutschsprachigen Filmproduktionen in Europa: in Österreich, in Ungarn, der Tschechoslowakei und in der Schweiz, sind vom deutschen Markt abhängig, denn nur durch den Export in das Land mit ca. 188 Millionen Kinobesuchen im Jahr besteht die Chance auf einen vernünftigen Gewinn. Seit den rassistischen Vorgaben der Nationalsozialisten für Filmproduktionen geraten die Produzenten der Nachbarländer immer mehr unter Druck, passen sich an oder müssen aufgeben. Ausländische Filme, die in deutschen Kinos laufen sollen, müssen (meist durch interessierte Verleihfirmen) der nationalsozialistischen Filmzensur vorgelegt werden, sie werden akzeptiert oder eben auch einfach abgelehnt. In Österreich gibt es bis 1937 eine solche von Deutschland unabhängige Filmproduktion.Joe Pasternak, Produktionsleiter bei der europäischen Universal, stellt für den Film „Peter“ ein Team zusammen, in dem neben seiner damaligen Lebensgefährtin Franziska Gaal in fast allen wesentlichen Positionen deutsche, österreichische und ungarische jüdische Künstler tätig sind, so die Darsteller Hans Jaray, Felix Bressart, Otto Wallburg, Sigurd Lohde, Hermann Krehan und Imre Raday. Das Drehbuch ist von Felix Joachimson, die Musik von Nikolaus Brodsky, die Texte von Fritz Rotter, Viktor Gertler ist für den Schnitt verantwortlich, Gerhard Goldbaum für den Ton, die Kostüme sind von Tihamer Varady. Das sieht nach einem eindeutigen Signal in Richtung Deutschland aus und „Peter“ ist damit fast ein Kamikazeprojekt. Obwohl seine Produktion durch die amerikanische Universal finanzielle Rückendeckung hat, muss er für die beteiligten Filmschaffenden unbedingt ein Erfolg werden. Zu viele Existenzen hängen davon ab und das nächste Engagement ist mehr als ungewiß.

Und „Peter“ wird dann auch der erste, wirklich erfolgreiche Film des so genannten „unabhängigen Kinos“. Er entsteht vom 26. September bis 3. Oktober 1934 in den Hunnia Ateliers in Budapest. Regie führt zunächst der tschechische Nichtjude Carl Lamac (möglicherweise auf deutschen Druck) wird er nach wenigen Tagen von Hermann Kosterlitz abgelöst, der im amerikanischen Exil als Henry Koster einer der erfolgreichsten Regisseure werden wird. Es ist dem hochprofessionellen Team und vor allem Franziska Gaal zu verdanken, dass aus dem kleinen Film „Peter“ ein internationaler Triumph wird. Auf der Internationalen Filmkunstausstellung in Moskau 1935 wird er zur besten Filmkomödie des Jahres gekürt. "Never change a winning Team!" Es entstehen zwei weitere Gaal-Filme, die „Peter“ in ihrer Qualität und Originalität das Wasser reichen können: „Kleine Mutti“ (1935) und „Katharina die Letzte“ (1936). 

Franziska Gaal erregt das Interesse der amerikanischen Filmfirma Paramount und wird engagiert. In Hollywood wird sie aber völlig falsch eingesetzt, bis 1941 spielt sie erfolglos einigen wenigen amerikanischen Filmen und kehrt 1941 nach Ungarn zurück, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Bis Kriegsende lebt sie in der Illegalität und findet in den späten 1940er Jahren keinen Anschluß mehr an die Filmindustrie. Unentdeckt überstehen auch ihr Kollege Hermann Krehan und Schnittmeister Viktor Gertler die braunen Jahre. In die Emigration gehen die Darsteller Hans Jaray, Felix Bressart und Imre Raday, ebenso Produzent Joe Pasternak, Regisseur Hermann Kosterlitz, Autor Felix Joachimson, Komponist Nikolaus Brodsky, Textdichter Fritz Rotter und Kostümbildner Tihamer Varady. Otto Wallburg hingegen wird 1944 in Amsterdam verhaftet und stirbt im Oktober desselben Jahres im KZ Auschwitz, wie auch der Tonmeister Gerhard Goldbaum. Einige Quellen geben Fritz Grünbaum als Darsteller an – entweder ist diese Angabe nicht korrekt oder seine Rolle fiel dem Schnitt zum Opfer – er starb 1941 im KZ Dachau „Peter“ ist ein Paradebeispiel dafür, was der deutsche Film ohne die Nazis zu leisten imstande gewesen wäre, die Beteiligten (mit wenigen Ausnahmen) waren bereits im deutschen Kino vor 1933 tätig. Das vielgerühmte „Weimarer Kino“ fand im „unabhängigen, deutschsprachigen Kino“ für ein paar wenige Jahre seine Fortsetzung.

Es ist überdeutlich, wie „Peter“ an einen deutschen Erfolgsfilm des Vorjahres, das cross-dressing-Musical „Viktor und Viktoria“ anzuknüpfen versucht. Aber es gibt deutliche Unterschiede: Beide Filme exponieren ihre Figuren als bedauernswerte Underdogs, auch der Rollenwechsel von Viktoria zu Viktor erfolgt aus sozialer Not, allerdings wird es in Folge eine Fabel, die gesellschaftlichen Aufstieg meint. „Peter“ verfährt anders, das Liebespaar wird kein bisschen erfolgreich, aber trotzdem glücklich. Hier geht es um Solidarität und nicht um Erfolg. Auffällig ist, dass „Viktor und Viktoria“ keinen Moment Zweifel an der Weiblichkeit seiner Hauptfigur lässt, es bleibt Renate Müller – zwar mit kurzem Haarschnitt und Frack, aber stets Renate Müller. Peter/Eva ist Spitzbube bzw. Spitzmädchen von Beginn bis Schluss, es werden für das Publikum keine erwartbaren Witze aus dem erzwungenen „Geschlechterwechsel“ abgeleitet. Dass das gelingt, ist einerseits dem wirklich brillanten Drehbuch zu verdanken, aber vor allem Franziska Gaal, die die Jungenrolle mit einer umwerfenden Selbstverständlichkeit spielt.

Die Gaal war ein echtes Filmwunder mit einer erwungenermaßen sehr kurzen Karriere - und sie ist völlig zurecht der Superstar des unabhängigen Kinos. Es entstehen in der Emigration Filme mit namhaften, vertriebenen jüdischen Künstlerinnen und Künstlern wie der hinreißenden Gitta Alpar oder Joseph Schmidt, dem Tenor mit der atemberaubenden Stimme, aber an Franziska Gaals Leinwandpräsenz reichen sie nicht heran.

Was macht „Peter“ zu einem queeren Film? Das müssen Sie natürlich selbst entscheiden. Einerseits ist er eine echte Komödie mit Chaplin-Qualitäten und kein Hochglanz-Schwank wie „Viktor und Viktoria“. Er wirkt fast wie ein verzweifelter Versuch der zahllosen, an seiner Entstehung beteiligten, vertriebenen jüdischen Künstler und Künstlerinnen, ein Zeichen zu setzen - ein künstlerisches Zeichen und ein politisches - und Queerness ist politisch motiviert. Vielleicht ist der Film an sich nicht „queer“ aus heutiger Wahrnehmung zu nennen, aber die die Umstände seiner Produktion waren im höchsten Maß politisch geprägt. Das Thema „Geschlechtertausch“ ist hier zwar nur Mittel zum Zweck, aber Franziska Gaal verleiht dem eine unvergeßliche Dimension.

Natürlich ist „Peter“ nur eine Fußnote in der Weltfilmgeschichte, umso wichtiger ist er aber für die österreichische. Das Filmarchiv Austria in Wien kümmert sich dankenswerterweise rührend um die „unabhängigen Filme“. Vor ca. 25 Jahren initiierte es eine große Repatriierungs-Aktion, denn viele Filme schienen gar nicht mehr vorhanden zu sein, zumindest nicht in den Archiven im deutschsprachigen Raum. Glücklicherweise gelang es, fast alle Filme in den Filmarchiven der Welt ausfindig zu machen. Und glücklicherweise war die Überlieferungssituation von „Peter“ nicht problematisch, denn der Film kam fast 20 Jahre nach seiner Premiere doch noch in die deutschen Kinos, unter dem Titel „Peter, das Mädchen von der Tankstelle“ in der DDR. Später lief er häufig im Programm des DDR-Studiokinos „Camera“ und ab und an im DDR-Fernsehen.

 


Gezeigt und vorgetragen im Rahmen des 2. Filmerbefestivals "Als QUEER schwarz-weiß war" 2025 im Filmmuseum Potsdam

Mit freundlicher Unterstützung durch den QueerScope e.V. 

Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Eine Kooperation zwischen Filmmuseum Potsdam und Katte e. V.

Medienpartner: Das Stummfilm-Magazin, gayBrandenburg.de

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